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Was wissen wir wirklich?

"Wir haben doch den amerikanischen JESUS"

lautet der Titel eines Aufsatzes von Prof. Willi Braun (Kanada) im Heft 16 der "Zeitschrift für Neues Testament" (Franke-Verlag).

Der erste, längste und meiner Ansicht nach auch interessanteste Teil seines Aufsatzes ist die Einleitung. Sie handelt weder von Amerika noch von JESUS, sondern davon, was wir eigentlich von der Vergangenheit, von unserer "Geschichte" wissen können. Und er kommt zu dem eindeutigen Schluss:

NICHTS!

Dies begründet er klar, einleuchtend und überzeugend. Im folgenden werde ich dies mit meinen eigenen, einfacheren Beispielen und Worten zu erklären versuchen.

Übrigens war es der Pfarrer, Organist und Arzt Albert Schweitzer, der zur "Leben JESU–Forschung" sehr ähnliche Gedanken schon 1906 zu Papier brachte – und deswegen der Theologie den Rücken kehrte und Arzt in Afrika wurde.

noch früher klagte bereits Faust bei Goethe:

"… und sehe, dass wir nichts wissen können …"

und in grauer Vorzeit schrieb Platon, Sokrates habe gesagt:

“Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

Das heißt aber:

Alles, was wir an geschichtlichem Wissen in der Schule lernen, in Zeitschriften oder Büchern lesen oder was uns im Fernsehen als "Doku"(mentation) angeboten wird, ist nur das, was die jeweiligen Forscher in jeweils ihrer Zeit als Geschichte wahr haben wollen. Denn sie alle stehen zunächst einmal vor einem Haufen von sogenannten "Quellen und Fakten", welche sie erst einmal bewerten müssen. Und diese Bewertung bestimmt das Ergebnis.

Stimmt das, was XY von Luther schrieb, oder war es nur spätere Propaganda? Hat Luther seine Thesen wirklich am 31. Oktober an die Kirchentür genagelt? War diese dafür nicht zu klein …? Woher wissen wir überhaupt das Datum?

Die Wissenschaftler entscheiden also, was sie für richtig und wichtig, für falsch oder unbedeutend halten und

sie sind es auch, die mit ihren Folgerungen die Fakten und Quellen zu einem Gedankengebäude verbinden, das sie dann schlüssig vertreten.

Dabei haben diese Folgerungen sehr viel mehr damit zu tun, in welcher Zeit und in welchen Verhältnissen die Historikerin oder der Historiker lebt, als mit der Zeit, die sie darin beschreiben.

So stritten in den 60-er Jahren 2 Professoren in immer neuen Aufsätzen anhand der gleichen Bibel darüber, ob zur Zeit des Neuen Testamentes bereits Säuglinge getauft wurden. Ohne Ergebnis. Ähnlich endete die Frage, ob Luther vor oder erst nach dem Thesenanschlag "evangelisch" gewesen sei und ob Zwingli unabhängig von Luther zum Reformator wurde, oder nur ein "missratener Schüler" Luthers war.

Es bleibt ins freie Ermessen der Forschenden gestellt, was sie für richtig oder falsch, wichtig oder weniger wichtig, wahrscheinlich oder unwahrscheinlich halten. So ist die "graue Vorzeit" in den letzten Jahren viel bunter geworden, die Germanen und Wikinger menschlicher und das dunkle Mittelalter viel heller. Letzteres nicht zuletzt dadurch, dass man in den romanischen und gotischen Kirchen, die schon Jahrhunderte lang standen, plötzlich prächtige Bauwerke sah, die von der hohen Intelligenz ihrer Erbauer und Planer zeugen. Die Idee der hohen Kirchtürme der Gotik scheint nach Jahrhunderten flacher Bauweise ihre gedankliche Fortsetzung in den Bankentürmen der Gegenwart gefunden zu haben.

Eine Biografie Napoleons oder ein Buch über das alte Ägypten, aber auch eine Biografie Merkels oder über die 1970-er Jahre sagt folglich viel mehr darüber aus, wie die Autoren das Thema gesehen haben möchten, als über die "Wirklichkeit" der beschriebenen Personen oder Zeiten.

Deutlich wird dies auch an den Filmen,

die über Luther gedreht wurden. Die älteren haben vielleicht noch die Monumentalstreifen der 50–er Jahre im Kopf, mit dem heldenhaften "Hier stehe ich und kann nicht anders! GOTT helfe mir!" Langsam, würdig und bedächtig ging es da zu. – so war schließlich die Zeit –. Einen Selbstmörder hätte dieser Luther sicher nicht eigenhändig begraben, wie es in einem modernen Film zu sehen ist. Luthers "geistliches Ringen" in der Zelle hat darin auch nichts mehr von der ruhigen Sinnfrage eines Gelehrten, der sich selbst in der Gewalt hat, sondern ähnelt vielmehr dem Benehmen ausgeflippter Typen in einer Talkshow. – es ist schließlich "unsere moderne Zeit", die sich so ihren Luther malt.

Andererseits werden darin noch immer Karlstadt und die Bilderstürmer ganz im alten Geist als die Bösen dargestellt. Waren sie nicht die Vorkämpfer unserer modernen Welt, die Luther zwar angestoßen hatte, aber dann am liebsten wieder stoppen wollte?

"… und sehe, dass wir nichts wissen können …"

-- Eigentlich wäre es doch ganz egal, was früher einmal passiert ist.

-- Eigentlich wäre es ja gar nicht schlimm, wenn jede Zeit und jeder Autor, jede Autorin die Menschheitsgeschichte gerade so schreibt, wie er oder sie es gerne hätten. [Das machen sie doch so wie so!]

-- Es liegt doch nichts dran, ob Kaiser Barbarossa wirklich einen roten Bart hatte und in welchem Fluss er ertrunken ist.

-- Es liegt doch nichts dran, ob die jüdische, christliche, muslimische oder atheistische Erklärung der Kreuzzüge stimmt.

Es wäre ganz egal,

– wenn nicht die geschichtlichen Ereignisse, Personen oder deren vermeintliches Wissen immer wieder herangezogen würden, um Vorbild für die Gegenwart zu sein. Denn gerade das können sie ja nicht sein, weil sie ja eben nicht die Originale aus der Geschichte sind, sondern gerade erst so gezeichnet wurden, wie man diese Figuren am liebsten in der Gegenwart hätte.

Am Beispiel Zwinglis: Wenn er, wie er von sich selbst sagt [Auslegung des 18. Artikels der Schlussreden (1523)], unabhängig von Luther zum Reformator wurde, wäre Luther nicht so einmalig und phänomenal, wie man ihn in Deutschland seit zwei Jahrhunderten sehen möchte. Deswegen versuchen Anhänger Luthers bis heute nachzuweisen, dass Zwingli von Luther abhängig war.

Oder am Beispiel der Germanen. Sah man in der Zeit Luthers und der Renaissance die Weisheit nur bei den Griechen und Römern vertreten und die Germanen dagegen als ungebildete „Heiden“, kam nach der Wiederentdeckung des Mittelalters in der 2.Hälfte des 19. Jahrhunderts der Mythos vom freien, starken, heldenhaften und ehrbaren Germanen auf, den man genau so darstellte, weil man ein solches Urbild politisch brauchte. Heute, wo diese Sicht verpönt ist, findet man Aufsätze über die Germanen, in denen diese als soziale, fürsorgliche Weltbürger gezeichnet werden.

Von der Stellung der Frauen in den früheren Gesellschaften liest man heute. Nicht, weil man nun mehr weiß, sondern weil man es anders sehen möchte. Immer wieder taucht das Schema auf, dass sie früher das Sagen hatten und über die Männer herrschten, selbst bei den "Göttern". (Muttergottheiten, Matronen, Hexen).

Stets wird das heute Gewünschte in eine vergangene Zeit hinein–getragen, um damit dem heute Gewünschten mehr Nachdruck zu verleihen. Ob die ältere oder die neuere Interpretation der Wahrheit näher kommt, kann man schlicht nicht sagen.

"… und sehe, dass wir nichts wissen können …"

Dass die Thesen von Professor Brown begründet sind, kann man übrigens öfters bei Familienfeiern erleben. Wenn nämlich die Rede auf Vergangenes, auf Erlebtes oder Erlittenes kommt, hört man sehr schnell Zwischenrufe: "Nein, so war das doch nicht …" Das liegt jedoch nicht immer daran, dass einige ein besseres Gedächtnis haben. Vielmehr hat jeder Mensch in seinem Kopf die Ereignisse und Erlebnisse (-wie ein Historiker-) beurteilt und gewichtet. Alle haben für ihre Lebenszeit und die Familientraditionen ein Raster entwickelt, wie sie dies alles sehen möchten. Jede und jeder aber ein anderes. Worte und Bilder, die dem einen eindrücklich oder prägend waren, haben andere ganz anders erlebt und anders eingeordnet in ihrem Gedächtnis. Oder sie bedeuteten ihnen nichts und sind an ihnen vorbeigegangen.

Wie klagte bereits Faust bei Goethe:

"… und sehe, dass wir nichts wissen können …"

Erschreckend ist an dieser Erkenntnis auch, dass sie nicht nur für die Geschichtsschreibung gilt, sondern auch für viele andere Fachgebiete, die man gemeinhin als "exakte Wissenschaften" bezeichnet. Und so verwundert es nicht, dass in einer Zeit, in der sehr viel mehr Menschen ihre Ansichten sehr viel schneller und weiter und ohne Zensur verbreiten können, eigentlich alles scheinbar Feste ins Wanken gerät.

In diesem Sinne sind auf diesen Seiten auch meine Äußerungen zur Geschichte unseres Glaubens zu sehen. Ich habe für mich versucht, die verschiedenen Fakten und Folgerungen aus verschiedenen Quellen zu einem einfachen Bild zusammen zu fassen, das meiner Ansicht nach dem wirklichen Geschehen sehr nahe kommt und sehr vieles verständlich und lebendig werden lässt. Wenn andere das anders sehen, halte ich das für kein Problem. Wenn wir nach dem Ende unserer Lebenstage einmal alle miteinander in der "himmlischen Akademie" sitzen und erfahren, wie alles wirklich war, werden wir wohl alle darüber lächeln, was wir hier für wahr und wichtig gehalten haben.

© 2005 (30.11.) Hans-Josef Born, damals: Runkel Steeden

überarbeitet 6.6.2007 // 10.11.2015

FAUST.

Habe nun, ach! Philosophie, -/- Juristerei und Medizin, Und leider auch Theologie -/- Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun, ich armer Tor, -/- Und bin so klug als wie zuvor! Heiße Magister, heiße Doktor gar, -/- Und ziehe schon an die zehen Jahr' Herauf, herab und quer und krumm -/- Meine Schüler an der Nase herum - Und sehe, dass wir nichts wissen können! -/- Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen, -/- Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, -/- Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel - Dafür ist mir auch alle Freud' entrissen, -/- Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen, Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, Die Menschen zu bessern und zu bekehren. Auch hab' ich weder Gut noch Geld, -/- Noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt; Es möchte kein Hund so länger leben! -/- Drum hab' ich mich der Magie ergeben Ob mir durch Geistes Kraft und Mund -/- Nicht manch Geheimnis würde kund; Dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß -/- Zu sagen brauche, was ich nicht weiß; Dass ich erkenne, was die Welt -/- Im Innersten zusammenhält, Schau' alle Wirkenskraft und Samen, -/- Und tu' nicht mehr in Worten kramen.

Sokrates sagte, nach Platons Apologie etwa Folgendes:

"Ich weiß, dass ich nichts weiß, und darum weiß ich mehr als die anderen, die meinen etwas zu wissen, obwohl sie auch nichts wissen."

oder genauer zitiert

"Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen;

allein dieser doch meint zu wissen, was er nicht weiß,

ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht.

Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er,

dass ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen."

[Platon: Des Sokrates Verteidigung, S. 10. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 260 (vgl. Platon-SW Bd. 1, S. 12)]